Bundesfinanzhof ruft Europäischen Gerichtshof wegen der umsatzsteuerlichen Organschaft an

10.07.2020

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat den Europäischen Gerichtshof (EuGH) angerufen, damit dieser klärt, ob die deutsche Regelung zur umsatzsteuerlichen Organschaft mit dem europäischen Mehrwertsteuerrecht vereinbar ist. Insbesondere geht es um die Frage, ob nur der Organträger die Umsatzsteuer schuldet oder ob stattdessen die sog. Mehrwertsteuergruppe, zu der alle Mitglieder des Organkreises gehören, die Umsatzsteuer schuldet.

Hintergrund: Bei einer umsatzsteuerlichen Organschaft werden die Umsätze des Organträgers und seiner Organgesellschaft(en) zusammengefasst und nur vom Organträger versteuert, der auch vorsteuerberechtigt ist. Die Organgesellschaft(en) treten gegenüber dem Finanzamt also nicht auf, weil der Organträger ihre Umsätze versteuert und ihre Vorsteuern abzieht.

Sachverhalt: Die Klägerin ist eine Stiftung, die ein Krankenhaus betreibt und hieraus umsatzsteuerpflichtige Umsätze erzielt. Darüber hinaus ist sie auch an die Universität angegliedert und bildet Medizinstudenten aus; insoweit ist sie hoheitlich tätig, erzielt also keine umsatzsteuerbaren Umsätze. Die Klägerin ist zudem Organträgerin, und die U-GmbH ist ihre Organgesellschaft; die umsatzsteuerliche Organschaft wurde durch eine verbindliche Auskunft vom Finanzamt bestätigt. Die U-GmbH erbrachte gegenüber der Klägerin im Streitjahr 2005 Reinigungsleistungen und erhielt hierfür ca. 75.000 €. Im Umfang von 7,6 % entfiel die Reinigung auf den hoheitlichen Betrieb (Universitätsbetrieb). Das Finanzamt verlangte von der Klägerin Umsatzsteuer auf diesen Anteil, weil es sich um eine Entnahme gehandelt habe.

Entscheidung: Der BFH ruft nun den EuGH an, damit dieser klärt, ob die Klägerin überhaupt Organträgerin ist und in dieser Eigenschaft die Umsatzsteuer auch für die U-GmbH schuldet:

  • Nach dem deutschen Umsatzsteuerrecht liegt eine Organschaft zwischen der Klägerin und der U-GmbH vor. Diese Organschaft ist zudem durch eine verbindliche Auskunft vom Finanzamt bestätigt worden. Danach ist die Klägerin die Organträgerin und muss die Umsatzsteuer sowohl für die eigenen Umsätze als auch für die Umsätze der U-GmbH, ihrer Organgesellschaft, an das Finanzamt abführen. Die Umsätze der U-GmbH an die Klägerin sind reine Innenumsätze und unterliegen nicht der Umsatzsteuer.
  • Aufgrund einer Entscheidung des EuGH gibt es aber in der Rechtsprechung und Literatur Zweifel, ob statt des Organträgers nicht die sog. Mehrwertsteuergruppe Schuldnerin der Umsatzsteuer ist. Diese Zweifel muss nun der EuGH klären. Aus Sicht des BFH sollte es bei der Umsatzsteuerschuldnerschaft des Organträgers bleiben. Allerdings hat ein anderer Umsatzsteuersenat vor kurzem ebenfalls den EuGH angerufen und neigt eher zu der Annahme einer Mehrwertsteuergruppe.
  • In der eigentlichen Streitfrage, der Erbringung von Reinigungsleistungen durch die Organgesellschaft an die Klägerin für ihren hoheitlichen Bereich, soll der EuGH klären, ob dies zu einer Entnahmebesteuerung führt oder aber zu einer Kürzung des Vorsteuerabzugs.

Hinweise: Es handelt sich um das zweite Vorabentscheidungsersuchen des BFH an den EuGH, das die Grundlagen der umsatzsteuerlichen Organschaft betrifft. Sollte der EuGH nämlich eine Mehrwertsteuergruppe für richtig halten, wäre das deutsche System, das allein den Organträger als Umsatzsteuerschuldner ansieht, hinfällig. Jeder Organträger könnte dann den gegen ihn gerichteten Umsatzsteuerbescheid mit der Begründung anfechten, der Bescheid müsse gegen die Mehrwertsteuergruppe gerichtet werden. Das Finanzamt könnte aber auch nicht einfach einen Umsatzsteuerbescheid gegen die Mehrwertsteuergruppe richten, weil es diese im deutschen Umsatzsteuerrecht nicht gibt. Der Ausgang der beiden Vorabentscheidungsersuchen hat daher erhebliche Bedeutung für umsatzsteuerliche Organschaften, so dass entsprechende Umsatzsteuerbescheide offengehalten werden sollten.

BFH, Beschluss v. 16.10.2019 – V R 40/19; NWB