04.08.2020
Ein Pflichtteilsberechtigter, der der Alleinerbe des Pflichtteilsverpflichteten ist, kann den Pflichtteil zwar noch nach dem Tod des Pflichtteilsverpflichteten fiktiv geltend machen, obwohl der Pflichtteilsanspruch zivilrechtlich nicht mehr besteht. Die fiktive Geltendmachung muss aber vor dem Eintritt der zivilrechtlichen Verjährung erfolgen. Es ist dann eine Nachlassverbindlichkeit zu berücksichtigen, die den Wert des Nachlasses und damit die Erbschaftsteuer mindert.
Hintergrund: Die Höhe der Erbschaftsteuer richtet sich u. a. nach dem Wert des Nachlasses. Vom Nachlasswert sind Nachlassverbindlichkeiten abzuziehen. Zu den Nachlassverbindlichkeiten gehören auch Verbindlichkeiten aus geltend gemachten Pflichtteilsansprüchen. Umgekehrt muss derjenige, der einen Pflichtteilsanspruch geltend macht, diesen versteuern.
Streitfall: Der Vater des Klägers verstarb im Januar 2008. Alleinerbin wurde die Ehefrau des Vaters des Klägers, die die Stiefmutter des Klägers war. Der Kläger war gegenüber seiner Stiefmutter zwar pflichtteilsberechtigt, machte diesen Anspruch aber zunächst nicht geltend. Im Januar 2011 starb die Stiefmutter des Klägers, und der Kläger beerbte sie. Das Finanzamt setzte Erbschaftsteuer gegenüber dem Kläger fest. Im August 2013 machte der Kläger mit einem an sich selbst gerichteten Schreiben den Pflichtteilsanspruch aus der Erbschaft nach seinem 2008 verstorbenen Vater geltend und beantragte anschließend die Änderung des Erbschaftsteuerbescheids zu seinen Gunsten, weil nunmehr eine Nachlassverbindlichkeit zu berücksichtigen sei.
Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) wies die Klage ab, weil der Pflichtteilsanspruch bereits zivilrechtlich verjährt war:
- Zu den Nachlassverbindlichkeiten gehören u. a. Verbindlichkeiten aus geltend gemachten Pflichtteilen. Entscheidend ist die Geltendmachung, so dass erst mit der Geltendmachung die Nachlassverbindlichkeit anzusetzen ist.
- Hätte der Kläger zu Lebzeiten seiner Stiefmutter den Pflichtteilsanspruch vor dem Eintritt der zivilrechtlichen Verjährung geltend gemacht, wäre eine entsprechende Nachlassverbindlichkeit abzuziehen gewesen, falls die Stiefmutter die Pflichtteilsverbindlichkeit bis zu ihrem Tode nicht erfüllt hätte. Zugleich hätte der Kläger den geltend gemachten Pflichtteilsanspruch versteuern müssen, und zwar als Erwerb vom ursprünglichen Erblasser, d. h. von seinem Vater.
- Diese Grundsätze gelten auch, wenn der Pflichtteilsberechtigte zugleich der Erbe des verstorbenen Pflichtteilsverpflichteten ist. Zwar geht dann die Pflichtteilsverbindlichkeit auf den Pflichtteilsberechtigten über und erlischt damit zivilrechtlich, weil nun der Anspruchsinhaber und der Verpflichtete identisch sind. Dieser zivilrechtliche Untergang (sog. Konfusion) wird erbschaftsteuerlich aber im Gesetz ausgeschlossen. Daher kann der Kläger als Pflichtteilsberechtigter seinen Anspruch gegen sich selbst, nämlich als Erben des Pflichtteilsverpflichteten, geltend machen.
- Voraussetzung ist aber, dass zivilrechtlich noch keine Verjährung eingetreten ist. Zwar führt die Verjährung zivilrechtlich nicht zum Erlöschen des Pflichtteilsanspruchs, sondern gibt dem Verpflichteten nur die Möglichkeit einer Einrede. Nach dem Eintritt der Verjährung gibt es aber keinen Grund, dass der Anspruch noch fiktiv gegen sich geltend gemacht wird. Anderenfalls könnte der Pflichtteilsberechtigte auch noch nach Jahren, also zeitlich unbefristet, eine Nachlassverbindlichkeit begründen.
Hinweis: Die Verjährung des Pflichtteilsanspruchs tritt nach drei Jahren ein. Die Frist beginnt mit Ablauf des Jahres, in dem der Pflichtteilsberechtigte von dem Todesfall erfährt und Kenntnis darüber erlangt, dass er von der Erbfolge ausgeschlossen ist.
BFH, Urteil v. 5.2.2020 – II R 1/16; NWB