Keine Berichtigung des Steuerbescheids zuungunsten des Steuerpflichtigen bei Nichtbeachtung der Prüfhinweise durch Finanzbeamten

22.06.2020

Das Finanzamt darf einen Steuerbescheid nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen wegen einer sog. offenbaren Unrichtigkeit berichtigen, wenn der Steuerpflichtige seine Einkünfte vollständig erklärt hat, das Finanzamt beim Einscannen aber versehentlich einen Teil der erklärten Einkünfte nicht übernommen hat und später die entsprechenden Prüfhinweise, die auf unvollständige Einkünfte hindeuten, nicht bearbeitet. Es handelt sich dann nämlich um eine unterlassene Sachverhaltsaufklärung und nicht um einen mechanischen Fehler im Sinne einer offenbaren Unrichtigkeit.

Hintergrund: Das Finanzamt darf einen fehlerhaften Steuerbescheid, der offenbar unrichtig ist, berichtigen. Die Berichtigung kann zugunsten oder zuungunsten des Steuerpflichtigen ausfallen. Offenbare Unrichtigkeiten sind insbesondere Schreib- und Rechenfehler, z. B. ein Zahlendreher, durch den bspw. Einkünfte in Höhe von 54.000 € statt 45.000 € erfasst werden, oder ein Übersehen einer Angabe.

Sachverhalt: Die Kläger sind Eheleute, die für das Streitjahr 2010 eine gemeinsame Einkommensteuererklärung abgegeben haben. Der Ehemann erklärte einen Gewinn aus selbständiger Arbeit in Höhe von ca. 130.000 € und die Ehefrau erklärte Arbeitslohn in Höhe von ca. 30.000 €. Beim Einscannen der Steuererklärung im Finanzamt wurde der Gewinn des Ehemanns versehentlich nicht erfasst. Bei der abschließenden Bearbeitung der Steuererklärung erhielt die Finanzbeamtin elektronische Prüf- und Risikohinweise, wonach einer der Ehegatten Einkünfte von weniger als 4.200 € erzielt habe und dass ein Vergleich mit den Vorjahreswerten nicht habe durchgeführt werden können. Die Finanzbeamtin versah daraufhin die Hinweise mit einem Haken, prüfte allerdings nicht, ob die Einkünfte in den Steuerbescheid übernommen wurden, und erließ einen Einkommensteuerbescheid, in dem der Gewinn des Ehemanns fehlte. Bei der Veranlagung für das Folgejahr bemerkte das Finanzamt den Fehler und berichtigte den Steuerbescheid zuungunsten der Kläger, indem nunmehr auch der Gewinn des Ehemanns in Höhe von ca. 130.000 € angesetzt wurde.

Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) gab der hiergegen gerichteten Klage statt:

  • Eine Berichtigung des Bescheids wegen einer offenbaren Unrichtigkeit setzt ein mechanisches Versehen voraus. Das unterlassene Einscannen des Gewinns des Ehemanns stellt zwar grundsätzlich einen mechanischen Fehler dar, da das unterlassene Einscannen nicht auf einem Rechts- oder Tatsachenirrtum beruhte. Der Fehler war auch offenbar, da es keinen erkennbaren Grund für das Abweichen von der Steuererklärung gab.
  • Allerdings trat zu dieser offenbaren Unrichtigkeit noch ein weiterer Fehler hinzu, nämlich die Nichtbearbeitung der Prüf- und Risikohinweise. Das Übersehen dieser Hinweise wäre zwar ebenfalls als offenbare Unrichtigkeit anzusehen gewesen. Jedoch hat die Finanzbeamtin die Hinweise nicht übersehen, sondern sie hat sie nicht richtig bearbeitet, da sie lediglich einen Haken hinter die Prüfhinweise gesetzt hat.
  • Die Hinweise hätten Anlass dazu gegeben, die Angaben in der Steuererklärung sowie die Angaben in dem Entwurf des Steuerbescheids zu überprüfen und abzugleichen. Denn aus den Hinweisen ergab sich, dass einer der beiden Ehegatten lediglich Einkünfte von rund 4.200 € erzielt hatte und dass ein Vergleich mit den Vorjahreswerten nicht möglich war. Damit beruhte der Fehler auf einer unzureichenden Sachverhaltsaufklärung. Ein solcher Fehler ist kein mechanischer Fehler.

Hinweise: Hätte der Bescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gestanden, hätte das Finanzamt den Fehler unproblematisch korrigieren können. So aber blieb dem Finanzamt nur die Möglichkeit, eine Berichtigung wegen einer offenbaren Unrichtigkeit zu überprüfen, da alle anderen Korrekturvorschriften eindeutig nicht in Betracht kamen. Obwohl eine offenbare Unrichtigkeit in Gestalt des unterlassenen Einscannens vorlag, wurde diese offenbare Unrichtigkeit durch die fehlerhafte Sachverhaltsermittlung überlagert; die Kläger hatten immerhin die Einkünfte richtig erklärt und waren für die fehlerhafte Sachverhaltsermittlung nicht mitverantwortlich.

BFH, Urteil v. 4.1.2020 – VIII R 4/17; NWB